Wilhelm Tell: Rudenz
Ulrich von Rudenz ist der Neffe und Erbe des Freiherrn von Attinghausen. Er ist sehr standesbewusst und hat kein Verständnis für das vertraute Verhältnis seines Onkels zu den Dienern (vgl. V. 782 f.). Ulrich liebt den Prunk, was sich auch schon an seiner Kleidung zeigt (vgl. V. 779 ff.). Er hat sich aus verschiedenen Gründen dem Gefolge des Reichsvogts Geßler und damit dem Habsburger Hof angeschlossen. Einmal sicherlich aus persönlichem Ehrgeiz, da er sich seiner Herkunft aus dem „,Bauernadel” schämt (vgl. V. 823 ff.); andererseitshat Ulrich jedoch auch ganz andere Argumente. Er hat im Gegensatz zu seinem Onkel die veränderte politische Situation erkannt. Daher tritt er für die neue Ordnung ein, die von den Fürstenhöfen ausgeht. Dem alten, aus dem Bauernstand hervorgegangenen Landadel setzt er den neuen Hofadel entgegen. Nur am Hofeines mächtigen Fürsten könne ein junger Adliger noch Ruhm und Ehre erlangen (vgl. 828 ff.).
Zudem glaubt Ulrich nicht daran, dass das Schweizer Volk dem königlichen Heer gewachsen sei (vgl. V. 908 f.). Ganz wichtig für Ulrichs Entschluss, sich dem Habsburger Hof anzuschließen, ist schließlich auch die Tatsache, dass Bertha von Bruneck, in die er sich verliebt hat, zum Gefolge Geßlers gehört. Umso verunsicherter und erstaunter ist Ulrich, als ihm Bertha die Augen über die Habsburger Politik öffnet und ihn an seineVerpflichtungen gegenüber seiner Heimat erinnert (vgl. die Verse 1602 ff., 1662 ff. u. a.).
Diesmal fallen die Ermahnungen bei Ulrich auf fruchtbaren Boden; als er dann im Fall Tells miterleben muss, wie tyrannisch und menschenverachtend Geßler seine Macht missbraucht, sagt er sich von ihm los und stellt sich gegen ihn (vgl. V. 1992 ff.). Ulrich bedauert, sich nicht mehr mit seinem Onkel ausgesöhnt zu haben, schließt sich aber dem Bund der Verschwörer an und drängt mit Arnold vom Melchthal zu direktem Handeln (vgl. V. 2473 ff.), besonders als er erfährt, dass Geßler Bertha von Bruneck verschleppt hat (vgl. V. 2530 ff.). Gemeinsam mit Melchthal erobert er das Schloss Sarnen und befreit Bertha. Sah Ulrich früher voll Verachtung auf das Volk herab (vgl. V. 782 f.), so kämpft er nun Seite an Seite mit den schweizer Bauern für die Befreiung. Schließlich verzichteter auf seine Adelsprivilegien und schenkt allen seinen Knechten die Freiheit (vgl. V. 3291).